Geschichte der Gastfreundschaft

Ein Selbstverständnis aus der Tradition
Gelebte Gastfreundschaft im Kloster Speinshart

Als ein wesentliches Merkmal des Ordens der Prämonstratenser gilt das gemeinschaftliche Leben nach der Augustinusregel und dem Vorbild der Urgemeinde von Jerusalem. Die Regel von Augustinus und die Lebensweise der ersten Jüngerinnen und Jünger Jesu bilden somit das Fundament der Spiritualität des Ordens. Die nähere Auseinandersetzung mit der Augustinusregel und dem Leben der Urgemeinde Jerusalems lässt zwei Begriffe besonders hervortreten: Die Gemeinschaft und die Freundschaft. Diese beiden Aspekte beziehen sich nicht nur auf das gemeinsame Leben im Kloster der Prämonstratenser, sondern auch auf die verschiedenen Wirkungsbereiche des Konvents. Das gesamte Kloster Speinshart entfaltet Gastfreundschaft in den verschiedenen Räumen auf immer ganze eigene Art und Weise.

Gastliche Freundschaft im Glauben
Die Klosterkirche ist das Herzstück des gesamten Klosters und des Klosterdorfs. Nach Plänen von Wolfgang Dientzenhofer entstand die Klosterkirche zwischen 1691 und 1695 an Stelle einer romanischen Basilika. In den Fundamenten sind Mauerteile der Vorgängerkirche von Dientzenhofer übernommen worden. Die Innendekoration von Stuckaturen und Fresken haben Carlo-Domenico und Bartholomeo Lucchese geschaffen. Von diesen beiden Künstlerbrüdern aus dem Tessin stammt auch der Hauptaltar. Sie haben mit ihrer Werkstatt zwischen 1694 und 1699 den Innenraum im Stil des italienischen Hochbarocks gestaltet und ihm ein festliches Gepränge verliehen. Dieser festliche Glanz der Speinsharter Klosterkirche bildet den äußeren Rahmen für die große Feier des Glaubens und lädt ebenso zum stillen Verweilen ein. Die Klosterkirche ist ein Raum der Gastfreundschaft. Hier wird Glaube gelebt, gefeiert und bezeugt.
Die Mitte des Raumes bildet ein Tisch. Ein Tisch an dem zum Gastmahl geladen wird – von Jesus Christus selbst. Diesen neuen Altar hat das Künstlerehepaar Lutzenberger und Lutzenberger (Bad Wörishofen) entworfen. Mit der Weihe des Altares am Rosenkranzfest 2012 durch Weihbischof Reinhard Pappenberger wurden die liturgischen Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils auch in der Klosterkirche endgültig umgesetzt. Bisher gab es immer nur verschiedene provisorische Lösungen. Die Gestaltung von Altar und Ambo ist schlicht. Eine einfache, rechteckige Form haben die Künstler gewählt. Auf den Oberflächen ist durch eine moderne Technik ein barocker Brokatstoff eingearbeitet. Ein Granatapfel, Sinnbild für Maria, bildet das sich ständig wiederholdende Dekor. Diese Oberflächen sind zusätzlich vergoldet um den Altar farblich an den festlichen Kirchenraum anzupassen. Die beiden sich gegenüberliegenden Seiten von Altar und Ambo sind vom Dekor und der Vergoldung ausgenommen. Der reine Stein ist zu sehen. Damit kommt die Verbindung zwischen dem Tisch des Brotes (Altar) und dem Tisch des Wortes (Ambo) zum Ausdruck. Bei der Feier der Eucharistie versammelt sich die Gemeinde um den Tisch. Sie hat Anteil an dem einen Gastmahl mit Jesus Christus und allen, die an ihm Glauben.
In diesem Festsaal des Glaubens zeigt ein monumentaler Figurenzyklus im Langhaus über den Wandpilastern Personifikationen der drei göttlichen Tugenden, der sieben Gaben des Heiligen Geistes und der vier Kardinalstugenden. Unter den Geistesgaben ist die Frömmigkeit zu sehen: Eine Frau in weitem Gewand, das sich um ihrem Kopf wie ein Schleier legt. Sie sitzt neben einer Mensa, deren Gestaltung an einen Altartisch erinnert. Auf der Mensa ist ein kleines loderndes Feuer zu erkennen. Die Frau bringt also, nach alttestamentaren Verständnis, eine Opfergabe dar. Ihren Blick richtet sie dabei nicht auf ihre Opfergabe, sondern zusammen mit einer einladenden Geste nach unten, in die Eingangshalle der Klosterkirche. Unbemerkt schaut sie so auf alle Besucher und spricht ihnen die Einladung zu, sich hier auf die Feier des Glaubens einzulassen. Die Allegorie der Frömmigkeit, die mit ihrer Opfergabe zugleich das Alte Testament personifiziert, steht somit für die vielen Menschen, die sich seit je her auf die Suche nach Gott im eigenen Leben gemacht haben. Viele dieser Geschichten haben Eingang in die Heilige Schrift gefunden.
Mit der Allegorie der Frömmigkeit öffnet sich die Klosterkirche für Menschen die auf der Suche sind, die mit Gott hadern und nach neuen Wegen Ausschau halten. Für all diese Menschen bildet die Kapelle der Rosenkranzbruderschaft einen Raum der Stille und für das persönliche Gebet. Vor der Madonna, die in der Predella des Altares steht, lodern zahlreiche Kerzen. Verbunden mit vielerlei Bitten, Anliegen und Sorgen werden sie entzündet. Die Marienfigur aus dem 18. Jahrhundert sitzt auf einer Bank. In den Armen hält sie ihren Sohn – Jesus Christus. Vielleicht ruht sich Maria von ihrem Alltag aus und lädt so die Besucher ein, sich gemeinsam mit ihr auszuruhen, um gemeinsam in der Stille mit ihnen nach neuen Wegen für das Leben zu suchen. Auf ganz eigene Art erfahren die Besucher an diesem Ort eine gastliche Freundschaft im Glauben – als je einzelner und in Gemeinschaft.

Reiche Tradition der klösterlichen Gastfreundschaft
Einen weiteren Aspekt der Gastfreundschaft im Kloster Speinshart erfahren die Menschen in den Räumen der Internationalen Begegnungsstätte. Die neu gestalteten Seminar- und Tagungsräume sind im ehemaligen Gästetrakt des Klosters untergebracht. Nach Fertigstellung des Westflügels um 1715 haben hier die Gäste des Konvents logiert. In großzügigen Suiten und festlichen Speisezimmern wurde hier Gastfreundschaft in barocker Manier gepflegt. In diesen Räumen hat Abt Dominikus I. von Lieblein das Verständnis der Gastfreundschaft im Bild festhalten lassen. Er beauftragte 1762 den Auerbacher Maler Johann Michael Wild das gesamte Bildprogramm der ehemaligen Prälatur dem Thema Gastfreundschaft zu widmet. Darunter ist ein ganz spektakuläres Bild zu sehen: Vor dem barocken Klostergebäude steht Abt Dominikus I. zusammen mit einigen Mitbrüdern. Eine große Schar an Gästen zieht nahezu prozessionsähnlich auf das Kloster zu. Voran geht Jesus Christus. Der Abt verneigt sich vor Christus und küsst ihm zur Begrüßung die Hand. Dahinter sind Geistliche und Adelige zu sehen, die auf die Begrüßung durch den Prälaten von Speinshart warten.
Nach dem 25. Kapitel aus dem Matthäusevangelium ist dieses Bild zu deuten und zu interpretieren. Dort spricht Jesus zu seinen Jüngern: Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen (Mt 25,35). So wird das Thema des Deckengemäldes zu einer Verpflichtung: Im Sinne der Botschaft Jesu sind alle Menschen aufzunehmen, zu begrüßen, ja sogar zu beherbergen. In den Evangelien wird uns Jesus gezeigt, wie er vorurteilsfrei und offen auf die Menschen zugeht. Vier weitere Szenen aus dem neuen Testament umgeben das Deckengemälde und knüpfen an diese christliche Gastfreundschaft an: Es sind Szenen aus dem Leben Jesu – wie er Gasfreundschaft genießt oder sich auch selbst als Gastgeber zeigt.
Die Internationale Begegnungsstätte will ein Ort sein, an dem sich Kulturen und Nationen ohne Vorurteile und Vorbehalte begegnen. Die gelebte Freundschaft Jesu gegenüber den Menschen liegt der inhaltlichen Arbeit der Internationalen Begegnungsstätte zugrunde. Nach seinem Vorbild und seiner Botschaft ist es die Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses klösterlichen Betriebs, eine Atmosphäre zu schaffen, in der diese Grundzüge erfahrbar sind. Eine gastfreundliche Atmosphäre in der sich Menschen begegnen können.
Vor allem der Dialog zwischen Bayern und Böhmen ist wesentlicher Schwerpunkt der inhaltlichen Arbeit der Internationalen Begegnungsstätte. Diese begründet in der jüngeren Geschichte des Klosters: Der Abt von Tepl, Gilbert Helmer, hat 1921 das Kloster vom bayerischen Staat gekauft und mit zwei jungen Mitbrüdern das klösterliche Leben im Geiste der Prämonstratenser in Speinshart neu begründet. Gerade in den Zeiten des Kommunismus spielte das Kloster Speinshart eine wichtige Rolle und fungierte als Brücke für den Orden zwischen Ost- und Westeuropa.
Neben der Möglichkeit für Tagungen und Seminaren bietet die Internationale Begegnungsstätte ein breites Angebot an Vorträgen, Ausstellungen und Konzerten. Beispielhaft für die Arbeit der Begegnungsstätte ist die enge Kooperation mit dem Festival junger Künstler Bayreuth. Zu diesem Festival kommen rund 300 Teilnehmer aus allen Nationen und Kulturen jedes Jahr im August nach Bayreuth. In Workshops arbeiten sie zusammen und bereiten sich für die Konzerte vor. Im Rahmen des Festivals werden die Speinsharter Sommerkonzerte gestaltet. Seit 2009 finden sie jährlich statt. Bei allen kulturellen Angeboten des Klosters geht es immer auch um die Begegnung – um die Begegnung in einer Atmosphäre der gastlichen Freundschaft.

Kulinarische Gastfreundschaft
Neben der geistigen Gastfreundschaft in der Klosterkirche und der kulturellen Gastfreundschaft bei Konzerten und Ausstellungen fehlt noch die kulinarische Gastfreudschaft. So ist der Kloster-Gasthof der dritte Ort an dem Menschen im Klosterdorf Speinshart Gastfreundschaft erfahren. Durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses klösterlichen Betriebs hat die Gastfreundschaft seit der Eröffnung im Herbst 2013 weitere Gesichter bekommen. Trotz einer umfangreichen Sanierung hat das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert sich seine historische Atmosphäre bewahrt. Der Kloster-Gasthof verbindet in seinen geschichtsträchtigen Räumen auf gekonnte Weise Tradition und Moderne und baut seine Philosophie auf die lange Geschichte der Gastfreundschaft im Kloster auf: Tradition verpflichtet!

Unter den beiden Aspekten Gemeinschaft und Freundschaft steht also nicht nur das klösterliche Leben der Prämonstratenser, sondern vielmehr das gesamte Kloster Speinshart. Die Lebensweisung des heiligen Augustinus und die Lebensform der ersten Christen bilden die Basis für diesen Ort der Begegnung – einem Ort an dem wahre Gastfreundschaft in vielfältiger Weise erlebt werden kann.